Matchplan Schneller Pfeil

Die Europa League bringt auch in der Liga interessante Konstellationen, wenn - wie heute Nachmittag - zwei Teams aufeinandertreffen, die auch am Donnerstag im Einsatz waren. Hertha auswärts in Hoffenheim, bei einem Team, das man unabhängig von der Niederlage gegen Braga im internationalen Bewerb inzwischen als echten Gradmesser im deutschen Fußball betrachten muss. Na ja, jedenfalls als solide Konkurrenz, wie sich erwies.

Hertha trat mit einem Matchplan namens Alexander Esswein an. Ibisevic, Kalou und Darida auf der Bank, stattdessen Duda auf der 10, und vor ihm der Mann, der seit seiner Verpflichtung immer eher so etwas wie eine Wild Card als eine kalkulierbare Größe gewesen ist. Die Betreuer haben sich im Sommer darauf geeinigt, in Esswein einen Stürmer zu sehen. Das erwies sich schließlich als kluge Intuition.

Der frühe Führungstreffer durch Wagner machte aus dem Matchplan schnell Makulatur, wenn er denn tatsächlich bloß aus dem Aspekt der Pfeilschnelligkeit bestanden haben sollte. Das wäre aber sowieso ungenügend gewesen, zumal wir wissen, dass gerade Esswein auch manchmal umso chaotischer agiert, je schneller es geht. Er hat aber auch einen Faktor, den man nicht trainieren kann. Nennen wir es freundlich: Unbekümmertheit.

Nach dem 0:1 musste Hertha mehr tun, blieb aber durch die weiterhin dominante Positionsarbeit der TSG darauf verpflichtet, dies mit sorgfältiger Rückversicherung zu tun. Und so entwickelte sich allmählich ein Bundesligaspiel, das man wieder einmal fast als Schulbeispiel für den grundsätzlichen Kompetenzgewinn der Liga nehmen kann, nur mit dem Unterschied, dass es trotzdem interessant war. Sehr sogar.

Das hatte viel mit einer Tugend zu tun, durch die Hertha in den letzten Jahren noch nicht so oft aufgefallen ist: Mentalität. Selbst im Fernsehen (ich habe das Spiel, unter Protest, bei den Steuervermeidern von Amazon gesehen) war zu spüren, dass da unten (draußen) ein Kampf auf Biegen und Brechen stattfand, dem es aber nicht an Leichtigkeit mangelte.

Hertha arbeitete sich mit beachtlicher technischer Qualität in dieses Spiel. Und kam schließlich zum Ausgleich: durch Plattenhardt und Esswein (und die ganze Mannschaft als Formation dahinter und rundherum). Wieder einmal fiel die Ausgeglichenheit der Leistung auf, es gab Finessen selbst von Skjelbred, und wichtige defensive Interventionen selbst von Esswein, der ja doch nominell vorn eingeteilt war.

Für die kommenden Wochen kann man nach den beiden Spielen von heute und vom Donnerstag vorsichtig optimistisch sein. Sollte es gelingen, Selke und Lazaro auf dem erhofften Niveau zu integrieren, dann hätte Hertha tatsächlich einen Kader mit zwei im Grunde gleichwertigen Formationen, zwischen denen die Betreuer je nach Tag und Tagesplan die Wahl haben - keine Mannschaft A und keine Mannschaft B, sondern ein Team A aus zwei Keepern, einer vermutlich doch seltener variierten Viererkette (auch weil Rekik und Langkamp einander offensichtlich gut verstehen), und dann weiter vorn ist eine Menge denkbar.

Zum Beispiel schon am Mittwoch ein Sturm mit Kalou, Darida und Ibisevic, dahinter vielleicht Stark, und Esswein, der ja gegen Bilbao pausiert hat, wieder einmal auf dem Flügel. Falls Leckie mal durchatmen sollte. Die Umsicht der Betreuer zeigt sich unter anderem darin, dass mit Lustenberger ein Spieler wieder integriert ist, der schon weit weg schien von der Mannschaft.

Pal Dardai hat schließlich das Gegentor beklagt, und er hat recht: Hertha hätte heute sogar die Festung der Macht vom Rhein-Neckar (zwanzig Heimspiele ohne Niederlage) erobern können. So aber war das eine Demonstration von Augenhöhe, und zwar nachdem Wagner einmal Langkamp übersprungen hatte (der aber auch behindert worden war, und dann unglücklich nach hinten wegtauchte). Hertha tauchte danach nicht ab, sondern zeigte sich.

Auch wenn man natürlich weiterhin nur von Spiel zu Spiel denken darf, zeigen sich nach dem bescheidenen Auftritt gegen Bremen Indizien für eine Konsolidierung im besten Sinn: eine nach vorne (und nach oben) offene Konsolidierung, eine Konsolidierung, die gruppendynamische Robustheit mit vielen Andeutungen individueller Qualität verbindet. Es macht Spaß, dieser Mannschaft beim Arbeiten zuzusehen. Und wenn das mit der Rotation so weiter geht, dann kriegen die Betreuer am Ende der Saison den HR-Award für exzellenten Einsatz von Human Resources.

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Kommentare

Kommentar von Jörg |

Was ich beim Spiel gegen Köln als besonders frustrierend empfand, das war, dass Hertha etwa 30 Minuten gut gespielt hat, gut und dynamisch stand, so dass ich den Eindruck hatte, es ist nur eine Frage der Zeit, bis das erste Tor für Blau-Weiß füllt. Dann kam eine Kombination von Fehlern, die der Gegenmannschaft das erste Tor ermöglichte. Daraufhin wurde Hertha immer unruhiger und verzweifelter, bis es am Ende ein Fiasko wurde, nicht unbedingt vom Ergebnis, sondern von der Spielweise. Mehrfach war man im Angriff so unkoordiniert, dass man sich entweder auf den Füßen stand oder gar beide Stürmer dem jeweils anderen den Vortritt lassen wollten (vor allem Selke sah nicht gut aus). Vor dem gestrigen Spiel hätte ich nicht gewußt, wie man darauf reagieren soll. Von der Taktik der Aufstellung gegen Hamburg war ich dann auch überrascht. Es stand wieder sehr viel Erfahrung auf dem Platz. Langkamp, Kalou, Ibisevic, Pekarik. Und nicht nur das, die Spielanlage war auch so, wie ich sie von vor etwa einem oder zwei Jahren bei Hertha kannte. Zwischendurch glaubte ich auch ein leicht verschobenes 4-3-3 erkennen zu können. Und gleichzeitig habe ich Stark und Lazaro als sehr gut empfunden (Lazaro vielleicht nur im Vergleich zu Kalou und Ibisevic). für mich sah das gestern gegen den HSV also aus wie ein Rückgriff auf Altbewährtes mit Einsprengseln von Neuem. Hoffentlich war das nicht der Anfang des Verzichts auf die neue Idee der Spielanlage, wie ich sie gegen Leverkusen noch so bewundert habe. Hoffentlich war das nur der Erweis, dass Hertha inzwischen sehr unterschiedliche Spielstrategien für unterschiedliche Anforderungen im Repertoire hat.

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