Wenn Jos Luhukay über Hertha spricht, dann vergisst er eine bestimmte Formulierung fast nie: "nach unseren Möglichkeiten". Die Leistungen der Mannschaft haben es mit sich gebracht, dass das inzwischen häufig ein bisschen nach rhetorischem Tiefstapeln klingt. Die Heimniederlage gegen den VfL Wolfsburg am Sonntag ließ allerdings erkennen, dass die Möglichkeiten tatsächlich begrenzter sind als die der deutlich reicheren Konkurrenz aus der niedersächsischen Provinz. Es war eine schwer zu verkraftende Niederlage, wenn man bedenkt, mit welch aufopferndem Engagement die Mannschaft dieses ungeheuer enge Spiel bestritt. Es war dann ein Einwechselspieler bei Wolfsburg, Daniel Caligiuri, der mit einer Einzelleistung in der 78. Minute das Spiel entschied: Er kam über die rechte Defensivseite von Hertha, zog nach innen, versetzte dabei Pekarik, und zog mit rechts ab. Ein Klassiker, der "schwer zu verteidigen" ist, wie der Coach berechtigt meinte. Das gilt auch für das Gegentor nach einer Ecke, denn solche Standards sind, wenn sie gut getreten werden, bis zu einem gewissen Grad eine Lotterie. Knoche stand dann allerdings doch zu deutlich allein und hoch in der Luft, es fiel auf, dass von Hertha kaum jemand überhaupt zu springen versuchte. Viel mehr ließ die Mannschaft aber auch nicht zu, sodass man von großer Effizienz bei Wolfsburg sprechen muss - und von einer nicht ganz so großen bei Hertha. Der Begriff, den Luhukay dabei ins Spiel brachte, ist nicht ohne Witz. Er sprach von Opportunismus. Das ist eine Eigenschaft, die im alltäglichen Leben ja nicht so positiv besetzt ist. Im Fußball kommt es dagegen darauf an. Gelegenheiten müssen ergriffen werden, gerade wenn sie so schwierig zu erarbeiten sind in einem organisationsdichten Spiel. Hertha fehlt dabei schon die ganze Zeit hindurch oft ein entscheidendes Quäntchen. Außer Adrián Ramos, von dem schon die ganze Saison klar zu erkennen ist, dass er wie gemacht für den BVB-Stil ist, verfügt kein Herthaner über die "letzte Zielstrebigkeit", die wir in der Aktion von Caligiuri so schmerzhaft zu verspüren bekamen. Das liegt aber eben auch an den Notwendigkeiten, die sich aus dem Möglichkeiten von Hertha ergeben. Das aufreibende Spiel gegen den Ball, das nicht nur Hosogaj und Cigerci, sondern eben auch Skjelbred, Allagui und Ndjeng zeigen, fordert in den Offensivsituationen seinen Tribut. Für das Umschalten braucht man Raum, und Wolfsburg ließ solchen kaum einmal entstehen. Es war Ramos, der mit einem tollen Pass in der ersten Halbzeit den Führungstreffer durch Skjelbred einleitete, auch das ein Indiz dafür, dass er ein kompletter Spieler ist. Aber auch ihm fehlte es in zwei, drei Momenten später an der Ruhe, die es ihm erlaubt hätte, bessere Entscheidungen im Moment großer Chance zu treffen. Hertha steht jetzt am unteren Ende der ersten Tabellenhälfte. Der Blick nach oben ist keineswegs unzulässig, denn gegen Wolfsburg war eine Differenz kaum zu bemerken. Dabei ist durchaus von Vorteil, dass eine der Aufgaben für den Rest der Saison mit einer Hauptaufgabe der kommenden identisch ist: Das Offensivspiel auf eine breitere Basis zu stellen, die Abhängigkeit von Ramos zu reduzieren. Die Kompaktheit auf Gelegenheiten hin zu sensibilisieren. Es macht große Freude, der Mannschaft bei dieser Detailarbeit zuzusehen, denn trotz der Niederlage gegen Wolfsburg verdichtet sich der Eindruck, dass "unsere Möglichkeiten" im Wachsen begriffen sind.
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Kommentar von der wiener |
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