von Marxelinho

Pizza Capricciosa

Durch das Nachdenken über Ereignisse geistert ein Satz von Marx, der eigentlich von Hegel ist, und den jeder Kommentator des Zeitgeschehens gelegentlich gut brauchen kann: Wesentliches ereignet sich häufig zweimal, meinte Hegel, und Marx ergänzte - "famously", wie die Briten sagen würden -: einmal als Tragödie, einmal als Farce.

Auf den Fußball lässt sich das nicht ohne Weiteres umlegen, denn der Fußball ist ein Spiel, und ein Spiel kann nicht tragisch sein. Man könnte also variieren: im Fußball ereignet sich alles Wichtige von vornherein als Farce, und wiederholt sich gelegentlich als Posse. Oder als Blödheit. Oder als Wunder.

Der späte Ausgleich von Werder Bremen gestern Abend im Olympiastadion hatte mindestens Züge einer Farce, er war aber auf einer anderen Seite auch ein Wunder. Für Claudio Pizarro muss es gewesen sein, als würde sich die Welt seinem Willen fügen: er sah eine breite Mauer aus blauweißen Spielern vor sich, und entschied sich für den einfachsten aller Tricks, er schoss unten durch, oder dazwischen durch, denn so richtig hoch sprang eigentlich niemand, aber die Beine öffneten sich doch, es reichte für eine Abfälschung, die Lazaro, der zur Vorsicht nach hinten in Richtung Torlinie wegbrach, noch einmal abfälschte, sodass es für Jarstein wie eine Demütigung aussehen müsste. Sieh her, der Ball kommt sogar noch in deine Richtung, aber erwischen kannst du ihn leider nicht.

Für Hertha hat Ondrej Duda vor noch gar nicht langer Zeit ein ähnliches Freistoßtor erzielt. Im Fußball wiederholt sich ja wirklich ständig alles, niemals identisch, aber in doch deutlich erkennbaren Mustern. Man muss nur lang genug dabei sein, und man wird irgendwann anfangen, sich ständig zu erinnern - das war doch gestern genauso wie damals, als ... ja, natürlich, als die Bayern in der 96. Minute noch einen Ausgleich schafften. Der Unterschied war, dass die Nachspielzeit gegen Bremen berechtigt war, die gegen die Bayern damals auch. Also kein Unterschied, aber doch zwei unvergleichbare Ereignisse.

Hertha hatte Werder dominiert, nach einer ersten Viertelstunde, die ein wenig wacklig war. Bei den beiden gelben Karten, die Niklas Stark nicht bekam, kann man auch über Einmaligkeit und Wiederholung reden - hätte er die erste bekommen, hätte er die zweite nie bekommen können, jedenfalls nicht für das eine Foul, zu dem es nur kommen konnte, weil er die erste nicht bekam.

In jedem Fall hatte Hertha mit elf Mann das zweite und das dritte Drittel der ersten Halbzeit hindurch sehr stark gespielt. Selke erzielte das Tor, traf auch noch einmal den Pfosten, Duda setzte einen Freistoß mit mächtiger Gurke an die Querlatte. In Halbzeit zwei schlich sich dann vielleicht ein Gran Arroganz ein, denn Werder ließ sich so deutlich auf sichere Distanz halten, dass auch ohne große Entlastung nichts mehr passieren musste. Bis in die letzten Minuten des Spiels, denn besonders in diesen Minuten kann bekanntlich alles passieren, und oft beginnt es mit einem spekulativ in Richtung Sechzehner geschlagenen hohen Ball. Er fiel in die Gegend, in der Lustenberger einen Zweikampf mit Sargent irregulär abschloss.

Dann kam die Capricciosa.

Seltsame Situation also: Hertha ist als Mannschaft derzeit so gut, dass sie das Spiel gleich für den Gegner auch noch spannend machen muss. Gegen die Bayern wird das wahrscheinlich ein wenig anders sein. Und dann kommt ein Gegner, den eine Mannschaft, die so gut ist, wie Hertha, eigentlich unbedingt schlagen muss: Mainz. Da wird sich Hertha aber vielleicht daran erinnern, dass es gegen Mainz schon viele lähmende Spiele gab. Womit sich wieder eine Frage stellt: wie entkommt man der Wiederholung des Falschen durch Wiederholung des Richtigen? Am besten durch Vermeidung von Posse und Farce.

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