Porzellankistenrennen

Hertha wartet im Jahr 2014 weiterhin auf einen Heimsieg. Das torlose Remis am Freitagabend, das ich einer schweren Erkältung wegen nur im Fernsehen sehen konnte, erinnerte stark an ein vergleichbares Spiel gegen Augsburg im Herbst. Neutralisierung auf bescheidenem Niveau war in beiden Fällen die Devise. Wobei Freiburg sogar ein, zwei Chancen hatte, und insgesamt nicht wie ein Absteiger auftrat, sondern eben so, wie auch Augsburg und eine ganze Reihe von Ligamannschaften derzeit zu verstehen sind: grundsätzlich sehr kompetent, im Zweifelsfall aber dann eben doch vor allem kompakt. Zu diesem Pulk gehört auch Hertha, wenngleich mit 35 Punkten der Platz in der oberen Tabellenhälfte vorläufig gewahrt bleibt. Warum geht offensiv so wenig in dieser Rückrunde? Das 3:0 beim HSV nehmen wir einmal aus, das war kein normales Spiel. Das 2:1 in Stuttgart gehört hingegen genau in den Trend, der nämlich eindeutig zeigt, dass im Spiel nach vorne etwas fehlt. Gegen Freiburg war viel von diesem Defizit auch dem Gegner zuzuschreiben, doch bleiben dann immer noch Faktoren, die eine Rolle spielen können: Selbstzufriedenheit? Unvermögen? Kleinmut? Falsche Taktik. Selbstzufriedenheit kann man wohl ausscheiden. Die Hertha-Profis machen alle nach wie vor den Eindruck, dass sie ihre Aufgabe mit Hingabe verrichten. Allerdings eben deutlich vor allem ihre Aufgabe. Die Aussagen des Trainers nach dem Spiel verraten ein bisschen, was auch das Verhalten der Spieler erkennen lässt: Zuerst sucht Hertha die Kontrolle, dann kann man vielleicht noch etwas hinzufügen. Das wäre ein Element Risiko, das Adrián Ramos mit seinen Weitschüssen zeigte, mit denen ausgerechnet er, der sonst immer so introvertiert wirkt, andeutete, dass er mit den Remis nicht zufrieden war. Unvermögen spielt sicher bis zu einem gewissen Grad eine Rolle. Bei Hertha spielen inzwischen nur noch Leute mit einer beachtlichen technischen Grundqualität, doch beim "decision making" sieht man gelegentlich, dass es an Erfahrung, Brillanz und manchmal an dieser schwer zu fassenden Eigenschaft fehlt, die Arsène Wenger gern "desire" nennt. Gegen Freiburg fand ich in dieser Hinsicht van den Bergh besonders interessant, der mit Ben-Hatira einen neuen Partner links hatte, und der eigentlich recht aktiv war. Die eine Aktion, in der er wirklich chancenrelevant involviert war, missglückte ihm aber - er schoss direkt Baumann in die Arme. Er kann nur dann ein exzellenter Leftback werden (wofür er Anzeichen zeigt, dass er das Vermögen hat), wenn er mehr riskiert und riskieren kann. Einen Quasi-Übersteiger hat er immerhin schon gezeigt, und CR7 muss er ja nicht werden. Kleinmut wäre das unzulässige Motiv für Kontrollzwang. Doch Hertha spielt nicht kleinmütig, bloß zuletzt häufig ein bisschen zu ordentlich, zu planquadratisch, zu manndeckend, zu wenig in die wenigen Räume gehend. Allagui, der relativ früh auf dem rechten Flügel eine schöne Szene hatte, verschwand dann auch bald. Überhaupt fragt man sich, was das für ein anarchisches Spiel war, mit dem die Saison begonnen hat, dieser Sieg gegen Frankfurt, bei dem ganze Landnahmeräume zur Verfügung standen. Die tollen diagonalen Läufe von Allagui gibt es nicht mehr, weil Hertha dechiffriert wurde, die Gegner lassen kaum mehr ein Umschalten zu. Insofern sollten die schweren Spiele im März vielleicht sogar wieder besser ins Konzept passen. Bleibt noch eine Überlegung zur Taktik. Sie war gegen Freiburg vielleicht sogar eine Spur zu flexibel in einem fliegenden Wechsel, der vor allem Allagui und Ndjeng betraf, und der Cigerci ein wenig die Entfaltungsmöglichkeit zu rauben schien. Generell war die Formation eindeutig vom Anlaufen her gedacht, also defensiv. Offensiv fehlte eine Option, aus dem Zentrum nach außen zu kommen, die Flügel einzubeziehen - Freiburg war aber auch gerade in diesem Bereich sehr gut. In der Hinrunde hat Luhukay ein paar Mal interessante Dinge ausprobiert. Zum Beispiel Ben-Hatira auf der 10. Das hätte ich mir gestern auch gewünscht, wahrscheinlich statt Ndjeng, und doch mit Schulz und Allagui in einer deutlicher breiten Aufstellung. Ben-Hatira ist kein Spielmacher, aber er macht interessante Dinge, und schafft kleine Räume. Räume, die Ramos gestern die ganze Zeit suchte, indem er sein Spiel weiter hin ansetzen ließ. Im Detail ist das alles hochinteressant, was Hertha probiert. Doch sind die Ansprüche inzwischen so weit gestiegen, dass gelegentlich ein Funke Inspiration zu fehlen scheint. Ein Moment der Verblüffung, auch wenn er verpufft. Hertha lebt im Moment in der berühmten Porzellankiste, die von der Vorsicht abstammt. Die ganze Liga ist ein bisschen im Begriff, zu einem Porzellankistenrennen zu werden. Es wird Zeit, in dieser Kiste ein Fenster zu öffnen. Das Spiel gegen Mainz, einer der interessanten Mannschaften des Moments, wird eine gute Gelegenheiten dafür geben. Da ich an diesem Wochenende nach Süddeutschland muss, werde ich auf dem Rückweg die Gelegenheit nützen und live dabei sein.

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