Gestern habe ich mich wohl ein bisschen lächerlich gemacht. Ich habe nämlich am frühen Nachmittag eine Petition lanciert, mit der die FIFA dazu aufgefordert werden soll, Russland die Fußball-WM 2018 zu entziehen. Die Sache erschien mir so plausibel, dass ich es für möglich hielt, die Sache könnte zumindest bis zu einem gewissen Grad viral gehen. Doch das Gegenteil ist der Fall: nach knapp dreißig Stunden haben sich nur 28 Unterzeichner gefunden. Ich will hier also erstens für mich selber noch einmal darlegen, was der Gedanke war, und dann zweitens überlegen, warum die Unterstützung so arg gering ausgefallen ist. Die Sache mit der Ukraine beschäftigt mich nicht zuletzt aus einem Grund sehr, der mit Fußball zusammenhängt: Ich habe das Land für mich "entdeckt" auf einer Fahrt zu dem EM-Spiel zwischen Deutschland und Portugal 2012. Die entsprechenden Einträge aus dem alten Blog übersiedle ich heute hierher. Ich war damals von Polen aus über Land unterwegs, es war ein ziemliches Abenteuer, unvergesslich blieb mir die Autofahrt von Przemysl nach Lwiw. Danach war ich ein paar Mal in Kiew, der Maidan und alle Orte der Revolution (das Stadion von Dinamo Kiew ist ganz in der Nähe) sind mir sehr vertraut. Der Publizist Jakob Augstein schreibt heute in einem Kommentar von einer "Putschregierung" in Kiew. Das erscheint mir ungeheuer arrogant, aber bezeichnend dafür, dass an der Revolution von verschiedenen Seiten in Deutschland herumgenörgelt wird. Für mich ist sie klarerweise legitim, ein Volk (kein ethnisches, sondern ein Staatsvolk) hat einen zwar gewählten, dann aber durch Vergehen am Gemeinwohl untragbar gewordenen Präsidenten abgesetzt. Und es sucht jetzt nach einer neuen Regierung. Russland versucht, diesen Prozess nach Kräften zu obstruieren. Ein Politiker in Kiew, dessen Name nicht fiel, wurde am Sonntag im Standard in Wien damit zitiert, er hätte sich an die EU gewandt, diese sollte doch darauf dringen, dass Russland die Fußball WM 2018 entzogen werden sollte. Es war eine Nebensache, ein eher verzweifelter Versuch, Druckmittel gegen Putins Übermacht zu finden. Doch in der Sache, auch wenn sie an die falsche Adresse ging, steckt ein richtiger Gedanke. Der funktionierende Fußball ist eine der wenigen Angelegenheiten, mit denen der Westen den Autokratien etwas voraus hat. Nicht von ungefähr sind viele Oligarchen auch ganz konkret in Vereinen im Westen investiert, sie finden hier eine Möglichkeit, ihren fragwürdigen Reichtum reinzuwaschen. Einem Abramowitsch ist das mehr oder weniger vollständig gelungen. Die Fußball-WM 2018 in Russland wird, nach allem, was man jetzt sagen kann, in einer Autokratie stattfinden. Und sie wird diese, wie auch die Olympischen Spiele in Sotschi, für eine Weile gut aussehen lassen. Russland diese Möglichkeit zu entziehen, halte ich für eines der besten Druckmittel, das derzeit im Raum steht - nicht zuletzt deswegen, weil es immer noch ein weiches ist. Wer kann nun aber diese Forderung stellen? Die FIFA ist ja selbst autokratisch und korrupt. Und die EU mischt sich da nicht ein. Sprechen können also nur wir: die Fans. Meine Petition erschien mir gerade deswegen plausibel, weil sie zwei Adressaten unter Druck setzen sollte: Das Blatter-Regime und das Putin-Regime. Das geht nun allerdings nur mit ein paar Millionen Unterzeichnern und nicht mit 28. Deswegen komme ich mir momentan ein wenig lächerlich vor. Heute wurde mir bei verschiedenen Gelegenheiten klar, dass die Schwierigkeiten, die EU und USA gerade haben, einen gemeinsamen Nennern zu finden, nahezu exakt auch in meiner unmittelbaren Umgebung zu finden sind. Es sind gar nicht alle meine Freunde, wie ich spontan annahm, der Meinung, man müsste nun Mittel des Containments gegenüber Putin suchen. Es gibt offensichtlich auch ein ziemliches Misstrauen gegenüber der Revolution in der Ukraine, die Faschismuspropaganda der Russen wird da zwar nicht dahinter stehen, aber das Ergebnis ist das gleiche. Zweifellos gibt es in der Ukraine gegenwärtig einen starken, patriotischen, nationalistischen Trend, und es gibt sicher einen Flügel, der an historische Gruppen anschließt, die antikommunistisch und profaschistisch waren. Doch diese werden nur dann stärker werden, wenn sich die Situation allgemein verschärft. Und dazu trägt derzeit mit einiger Eindeutigkeit vor allem Russland bei. Deswegen lasse ich die Petition noch online. Sie erscheint mir übrigens unabhängig vom weiteren Verhalten Russlands in der Ukraine berechtigt. Russland (wie auch Katar) erscheinen mir keine legitimen Gastgeberländer für eine WM zu sein, die auch ein Fest sein soll.
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