Fußball ist ein Spiel mit vielen Wendungen. Das Tor steht jeweils in der Mitte der Linie, die den "Vortrag" beendet. In der Mitte ist dementsprechend die Defensive am stärksten, weiter weg gibt es Raum. Hertha BSC war im Vorjahr relativ linkslastig, durch die dominante Rolle von Fabian Reese vor allem. In dieser Saison ist ein Rechtsruck zu verzeichnen. Auch dieser hat mit einem einzelnen Spieler zu tun. Michaël Cuisance spielt ein originelles Hybrid aus Winger und Zehner, zum Leidwesen von Marten Winkler, der orthodoxer und mit Geschwindigkeit in diesen Bereichen agiert, derzeit aber nur Ersatz ist. Denn seine Kompetenzen sind denen von Jonjoe Kenny zu ähnlich, seinem Hintermann, der selbst Züge eines Fegers hat.
Mit Marten Winkler und Derry Scheerhant auf den Flügeln (in Abwesenheit des verletzten Reese) wäre Hertha symmetrisch konzipiert. Mit Cuisance aber kommt ein Aspekt von Unkonventionalität ins Spiel. Seine Domäne ist das Sechzehnereck, nicht die Grundlinie. Sein Markenzeichen ist die Drehung mit Ball, die beim Gegenspieler Knoten in den Beinen hinterlässt (ich liebe Fußballersprache). Mit seinem linken Fuß kann er auch abschließen, weniger spektakulär als Robben, der immer noch ein Patent auf diese Moves hat.
Am Samstag in Karlsruhe hat Cuisance seinem Repertoire noch etwas hinzugefügt: den "blinden" Pass. "Nicht schauen", sondern spielen, also einen Pass spielen, den man mit dem eigenen Blick nicht andeutet. Der Führungstreffer durch Maza entstand so, Voraussetzung für den Pass ist ein diagonaler Lauf, der dann mit einem Schuss gegen die Laufrichtung abgeschlossen wird. Kenny und Niederlechner mussten später keine Patentgebühren entrichten, bedienten sich aber bei intellektuellem Eigentum, als sie die Koproduktion aus der ersten Halbzeit recht deutlich wiederholten.
Cuisance und Maza haben ihren Move natürlich auch nicht erfunden, aber sie spielten ihn so, dass er ihnen nun ein wenig gehört, leider um den Preis einer Auswechslung, die bei Maza danach notwendig wurde. Seine Wendung war schmerzhaft gewesen, es gab unheilvollen Gegnerkontakt.
Hertha hat zuletzt zwei Spiele auf eine Weise gewonnen, die man als verdient bezeichnen würde, ohne dass es jeweils zwingende Ergebnisse waren. In der zweiten Liga hat man fast immer den Eindruck, dass jederzeit alles Mögliche passieren kann, kein Team dominiert wirklich, kein Team ist wirklich fehlerresistent. Beim neuen Stil von Hertha musste man in den ersten Wochen der Saison den Eindruck haben, dass Trainer Fiélo die technische Kompetenz der Spieler überschätzt: das deutlich vertikalere Passspiel überforderte die Handlungsschnelligkeit.
Cuisance bringt da einen Aspekt von Ruhe hinein, der gut tut. Die Versetzung von Karbownik ins Mittelfeld (gestern als Ersatz für Demme) hat ebenfalls die technische (Ballbehandlungs-)Qualität erhöht. Absurde Versuche von One-Touch-Fußball unterbleiben zunehmend – wenn man sieht, wie viel Zeit Barcelonas Spieler am Ball haben, ohne dass dadurch das Spiel langsamer wird, weiß man, was am oberen Ende dieser Versuche alles möglich ist.
Hertha BSC zählt unter Christian Fiél noch nicht zu den Favoriten um den Aufstieg, dazu ist die Defensive zu wacklig, dazu gibt es immer noch zu viele Unkonzentriertheiten. Aber Unterschiede zu dem unentschlossenen Jahr unter Pal Dardai sind deutlich. Cuisance ist einer, der diesen Unterschied auch für andere ein wenig macht. Ein Unterschiedsspieler, für den das Pokalspiel gegen Heidenheim am Mittwoch im Olympiastadion genau zur richtigen Zeit kommt.
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