Sandro Schwarz hat gestern nach dem 2:1 von Mainz 05 gegen Hertha BSC ein paar einfache Worte gefunden: "Wir haben ein umkämpftes Spiel auf unsere Seite gezogen. Damit haben wir einen Erfahrungswert geschaffen." Zum Ergebnis zählt auch, dass Hertha nun - nach vier Spieltagen - am Ende der Tabelle steht. Wichtiger ist aber vielleicht: die Mannschaft hat einen Erfahrungswert bestätigt.
Und dieser reicht tief in die Ära von Pal Dardai zurück. Er besteht im wesentlichen darin, dass mit einer abwartenden ersten Halbzeit eine Grundlage dafür geschaffen wird, dass am Ende schon ein Remis irgendwie als Erfolg wirken kann. Und eine Niederlage wie die gestern immerhin als unglücklich erscheinen mag.
Sie war aber programmiert. Denn nach den zwei Niederlagen, die auf das Remis in München folgten, stellte Ante Covic die Mannschaft gegen die davor erfolgloseste Mannschaft in der neuen Saison so ein, als müsste sie sich mit einer Außenseitertaktik zum Erfolg mogeln. Auf den ersten Blick mag das ja plausibel sein: Mainz den Ball überlassen, eine Mannschaft, die auch unter Druck steht, spielen lassen, um ihr durch Konter die Luft auszulassen. Es hätte natürlich aufgehen können, aber wir kennen diesen Matchplan aus den letzten fünf Jahren zur Genüge, und er ging, zumal gegen vermeintlich schwächere Gegner, sehr häufig nicht auf.
Jordan Torunarigha ließ sich kurz vor der Pause aus der Fünferkette locken, verlor einen Kopfball, und damit kam Mainz zu einem Spielzug, den Marius Wolf auf der anderen Seite milde interessiert beobachtete. Dass er längst dessen Teil war, fiel ihm dann im Interview nach dem Spiel immerhin auf, wenn auch eher eindimensional: "Klar, das war mein Mann." Das träfe zu, wenn Fußball aus Paarlaufen bestünde. Er hätte besser von einem auch bei ihm feststellbaren umfassenderen Mangel an Konzentration gesprochen.
Der hat aber wohl mit der abwartenden Einstellung zu tun. Bei einer Fünferkette gibt es ja tendenziell eine defensive Überzahl, aus der man sich gelegentlich auch geistig abmelden kann, ohne dass es groß auffällt. Bis dann eben ein Tor fällt. Mainz hatte schon davor gefährliche Möglichkeiten.
Die Rhetorik, dass Hertha die besseren Chancen hatte, wäre also zu relativieren. Der Coach brauchte in der zweiten Halbzeit lang, um endlich auf eine naheliegende Alternative zu kommen: Mehr Ballbesitz verstand sich von selbst, zu einer gelungenen Vielfalt brauchte es aber Wege über die Flügel. Covic wollte aber hinten sehr lange keinen opfern, und brachte zuerst Kalou (wirkungslos) und zu spät Dilrosun (Flanke auf Grujic zum Ausgleich).
Covic überrascht mich bei den Interviews immer wieder mit einem interessanten Blick auf das Spiel. Er scheint manche Probleme durchaus richtig zu sehen, so wies er ausdrücklich auf die Szene vor dem schließlich entscheidenden Eckball hin, in der auch ich eine Schläfrigkeit von Plattenhardt beanstanden würde - das würde ich mir aber gern noch einmal philologisch ansehen.
Der Coach hat nun aber schon beträchtliche Schwierigkeiten, aus dem großen Kader etwas herauszuholen. Gestern war die Formation für meine Begriffe von Beginn an verkehrt, auch deswegen, weil Plattenhardt und Wolf nicht die Fußballer sind, die mit der Doppelrolle, die sie in der Fünferkette spielen müssen, zurechtkommen. Ein 4-4-2 oder noch besser ein 4-2-3-1 mit mehr Initiative von Beginn an und mit Selke in der Mitte wäre viel angemessener gewesen.
Niklas Stark ist zwar Nationalspieler, seine Form ist aber durchaus dazu angetan, ihn neben Rekik auf die Bank zu setzen. Boyata hatte zumindest einige Andeutungen von Autorität und auch Ansätze in der Spieleröffnung. Für ein vertikaleres Spiel fehlen aber auch deswegen die Möglichkeiten, weil Hertha hartnäckig wenig läuft. Auch das setzt sich seit Pal Dardai bruchlos fort. Und Ante Covic, der sich eigentlich von seinem verdienstvollen, aber schließlich zu limitierten Vorgänger absetzen wollte, beginnt, dessen Mittel zu kopieren.
Damit hat Hertha schon nach vier Spielen eine seltsame Trainerdiskussion: nicht wenige meinen, mit Dardai wäre alles besser geblieben. Das ist Unsinn. Hertha musste etwas Neues probieren, aber Ante Covic hat gestern das eine Spiel, das er vielleicht nur für einen Beweis von Eigenständigkeit und Innovation hatte, für eine schlechte Übung in Herkömmlichkeit genützt. Also nicht genützt.
PS Der teuerste Neuzugang, Dodi Lukebakio, stellt uns alle vor ein Rätsel: Was soll man mit ihm tun? Zwei Spiele hat er nun eine Ballbehandlung gezeigt, die ihn als Zielspieler unbrauchbar macht. Zudem ist unklar, ob er für einen kombinierenden Fußball wirklich geeignet ist. Es wäre eine traurige Ironie, wenn der für meine Begriffe gute Kaderplaner Michael Preetz mit den ersten zwanzig von den schäbigen Tennor-Millionen einen Fehleinkauf getätigt hätte.
Kommentare
Kommentar von Toddy |
Einen Kommentar schreiben