Heute komme ich dazu, einen Stadionbesuch nachzutragen, zu dem ich letzte Woche Gelegenheit fand. Ich war zwei Tage in Moldawien, weil ich in Chisinau zu einer Hochzeit eingeladen war. Den ersten Tag dieser kleinen Reise habe ich für einen Besuch in einem Land genützt, von dem unklar ist, ob es eigentlich existiert: Transnistrien. Dort gibt es den Fußballverein Sheriff Tiraspol. Der spielte an jenem Tag in der Qualifikation für die Europa League gegen Rijeka.
Im Juli 2008 spielte Hertha, ebenfalls in der Qualifikation für die Europa League, gegen den FC Nistru Otaci, einen Verein aus einer kleinen Stadt im Norden Moldawiens. Ich erinnere mich, dass ich damals ein wenig recherchiert habe, ob es machbar wäre, zum Auswärtsspiel zu fahren - das dann ohnehin in der Hauptstadt, also in Chisinau, ausgetragen wurde, aber auch das erwies sich damals als zu kompliziert.
Manche werden sich vielleicht noch an das Heimspiel im Jahn-Stadion erinnern: ein 8:1-Sieg, bei dem sogar Marc Stein ein Tor erzielte. Es war der Beginn der Saison, in der Lucien Favre Hertha um ein Haar in die "Champions League" geführt hätte.
All das hatte ich noch so halb im Kopf, als ich in Chisinau war. Und die Fahrt nach Tiraspol war wohl auch eine kleine Entschädigung dafür, dass 2008 nichts aus meiner Fahrt geworden war. Moldawien ist ein sehr schönes Land, dem aber deutlich anzusehen ist, wie arm es ist: Seit den Tagen der Sowjetunion ist nicht viel vorangegangen.
Ich war mit einem Chauffeur unterwegs, der sich bestens auskannte. Kurz vor dem Grenzübergang bog er nach links in die Pampa ab, sodass wir an einem viel kleineren, nicht gerade streng kontrollierten Posten in dem Dorf Varnita passierten.
Ich musste zwar meinen Pass kurz abgeben, wurde darüber hinaus aber weder kontrolliert noch befragt. Der Hinweis, dass wir zum Spiel wollten, war allen als Begründung für unsere abendliche Fahrt vollkommen ausreichend. Und so waren wir, nachdem Kolja den Moment noch für eine Rauchpause genützt hatte, in Transnistrien. Der Fluss, den wir überqueren mussten, ist eben der Nistru (Dnjester).
Bis zum Stadion war es dann nicht mehr weit, es liegt wie eines der vielbeschworenen Ufos an der Peripherie. Sheriff ist das dominierende Unternehmen im Land, das Stadion ist ein "Geschenk", das die Leute, wie ich mich überzeugen konnte, ohne große Begeisterung annehmen.
Das Spiel selber war nicht sonderlich interessant. Als wir kamen, erst zur zweiten Halbzeit, weil Kolja eher gemütlich gefahren war, und weil wir noch Rubel hatten wechseln müssen, kamen uns schon Jugendliche auf dem Weg nach draußen entgegen. Rijeka führte bereits 2:0, die Sache war entschieden. Beide Teams wurden von bescheidenen Fanblöcken unterstützt. Hier die "Armada" von Rijeka.
Und auf der Gegenseite die Hardcore-Fans von Sheriff Tiraspol.
Die Cheerleader tragen ebenfalls die Farben des 1996 gegründeten Clubs.
Rijeka schoss in der zweiten Halbzeit noch ein Tor, und 0:3 war dann auch der Endstand. Der Mannschaft aus Kroatien ist es zu verdanken, dass Sheriff Tiraspol in diesem Jahr keine europäischen Erfolge feiern wird können. Die politische Funktion des Clubs ist nicht so leicht einzuschätzen. Denn einerseits handelt es sich hier eindeutig um das Aushängeschild von lokaloligarchischen Profiteuren, die dieses kleine Land als Beute behandeln. Andererseits gibt es kleine Signale der Öffnung nach Westen.
Das wichtigste Faktum im Zusammenhang mit Sheriff Tiraspol hat auch starke aktuelle Relevanz. Der Club spielt nämlich nicht in der russischen Liga, wie es die russophilen Fans vielleicht lieber hätten. Sondern in der moldawischen Divizia Nationala, die von Sheriff ziemlich eindeutig beherrscht wird. Das ist insofern ein Präzedenzfall, als die Clubs von der Krim, die nach der russischen Annexion nun einen ähnlich prekären Status hat wie Transnistrien, sich dem russischen Verband angeschlossen haben.
Fifa und Uefa stehen nun vor der Frage, wie sie mit dieser Tatsache umgehen sollen. Am 18. September sollen die Verbände von Russland und der Ukraine auf Einladung der Uefa in Nyon zusammenkommen, um über die Vorgehensweise zu beraten. Nominell wurden die Clubs aus Sewastopol, Simferopol und Yalta aufgelöst und neu gegründet, um in Russland antreten zu können. Würden die beiden großen Verbände das Manöver hinnehmen, wäre das ein kleiner Schritt zu einer stillschweigenden Akzeptanz der russischen Eroberungspolitik.
An all diese Sache musste ich auch denken, als wir aus Tiraspol zurück nach Chisinau fuhren. Der Besuch war kurz gewesen, mein Aufenthalt in Transnistrien hatte keine drei Stunden gedauert. Kurz vor Mitternacht war ich im Hotel, und Kolja, der sich für Fußball nicht interessiert, konnte sich ins Nachtleben stürzen.
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