Trainingsrückstand

Jos Luhukay war ziemlich dünnhäutig nach dem 1:3 gegen den FSV Mainz 05. Aus guten Gründen, denn für die Niederlage muss er sich nun wirklich selber verantwortlich fühlen. Er hatte eine Aufstellung gewählt, die nicht leicht nachzuvollziehen ist, auch wenn das zentrale Motiv dahinter in etwa erkennbar ist: Er wollte mit Spielern arbeiten, von denen er sich eine gewisse "Bindung" erwarten konnte. Die Länderspielpause nahm er wohl als großes Zerstreuungsärgernis wahr, auf das er mit einem Akt übertriebener Lagerbildung reagierte.

Das zweite Wochenende im September brachte auch in meinem persönlichen Rahmenterminkalender eine vergleichbare Erfahrung: Ich kam gestern aus Toronto zurück, hatte nur eine Stunde geschlafen, konnte deswegen auch nicht "spielen", sondern nur vor dem Fernseher zusehen. Die Aufbruchsstimmung war aber voll da: erster Spieltag nach dem Schließen des Transferfensters, nun beginnt die Saison wirklich. Und gerade bei Hertha, wo der Kader doch so radikal umgebaut worden war.

Das Team Sheet sagte laut: denkste! Marcel Ndjeng und Johannes van den Bergh als Außendecker, Peter Niemeyer im zentralen Mittelfeld, Heitinga und Pekarik auf der Bank, Plattenhardt und Stocker gar nicht im Kader. Dass Salou nicht in der Startelf stand, werden wohl alle außer den Ungeduldigsten nachvollziehen können. Er kam dann in der zweiten Halbzeit, da stand es 1:0 für Mainz, und die Erwartungen hatten noch gar nicht Zeit gehabt, so richtig zu steigen, da erzielte Sami Allagui das vorentscheidende 2:0.

Das war mehr als nur ein blöder Konter, wie ihn eine zurück liegende Heimmannschaft nun einmal gewärtigen muss. Das war eine Szene, in die man Symbolgehalt gar nicht groß hineinlesen muss. Hertha bringt den Mann, der die Ambitionen dieser Saison verkörpert wie kein anderer, aber das Personal, das schon eine Weile da ist, hält derweil den Laden nicht dicht. Mit den Bildern des Unmuts, die in diesem Moment in Großaufnahme von Jos Luhukay und Michael Preetz gezeigt wurden, steht nun auch schon das "stock footage" für den Abstiegskampf bereit, für den es zwar noch deutlich zu früh ist.

Aber die Fragen in der Pressekonferenz wiesen doch schon eine deutlich Richtung: Das Wort "Krise" dient ja allenfalls bis etwa zum zehnten Spieltag als Platzhalter. Dann geht es schon konkret um den Klassenerhalt. Und nach zehn Tagen, so Jos Luhukay, ist auch er bereit, sich messen zu lassen.

Seine Aufstellung lässt sich von einem neuralgischen Punkt aus entschlüsseln, und auch kritisieren: Fabian Lustenberger, der Kapitän, spielt ja neuerdings deklariert lieber in der Verteidigung. Das sollte er sich aber besser noch einmal überlegen. Der Coach entschied sich gegen Mainz jedenfalls für eine Lösung, die eindeutig zu konservativ war: Lustenberger neben Brooks, Heitinga auf der Bank, Niemeyer im defensiven Mittelfeld.

Niemeyer scheint plötzlich wieder Stammspieler zu sein. Die Gründe dafür sind nicht nachvollziehbar, denn die defensive Kompaktheit steigt mit ihm nicht, und offensiv ist er bedingt produktiv. Gerade gegen einen defensiven Gegner wie Mainz wäre es interessanter gewesen, Lustenberger auf der 6 auszuprobieren. So alt ist Heitinga auch nicht, dass man ihn jetzt schon zu schonen beginnen muss. Und Hertha verträgt ohne Probleme zwei "Führungsspieler".

Dass Ndjeng statt Pekarik auflief, ist vermutlich einfach so etwas wie das "ceterum censeo" von Luhukay. Ceterum censeo Ndjengem semper ludendum esse. Darüber rege ich mich nicht mehr auf, und beim zweiten Gegentor sah er auch deswegen schlecht aus, weil er plötzlich zwei Gegenspieler hatte. Dass er der Mannschaft noch groß weiterhelfen wird, schließe ich aber aus. Müssen wir halt mit ihm leben, ist eine Idiosynkrasie des Trainers.

Nehmen wir diese Niederlage also einfach einmal als da, als was sie vom Trainer verkauft wird: Das Spiel kam zu früh. Die lange Vorbereitungszeit ging an einem Spieler wie Jens Hegeler relativ spurlos vorüber, gegen Mainz waren aber auch Schieber, Beerens, Schulz (insgesamt immer noch ein Lichtblick, defensiv aber dann doch anfällig) blass, und Ronny blieb nach seiner Einwechslung ohne Wirkung. Skjelbred zeigte noch am ehesten so etwas wie Initiative. Doch Mainz schaffte es, alles in eine endlose Reihe öder Zweikämpfe aufzulösen, aus denen heraus drei effiziente Vorstöße gelangen. Das reichte.

Bleibt ein etwas rätselhafter Zwischenbefund: Der Coach bekam einen üppigen Kader, scheint damit aber noch zu fremdeln. Und so spielt dann auch die Mannschaft. Es ist kein Plan erkennbar. Das wird besonders deutlich beim Pressing. Hertha spielt es nicht mehr, jedenfalls nicht so, dass sich daraus interessante Situationen ergeben würden. Gegen eine Mannschaft wie Mainz müsste eine erfolgshungrige Heimmannschaft höher, konsequenter und geistesgegenwärtiger pressen, als Hertha das getan hat.

Die Mannschaft läuft einfach zu wenig. Ironischerweise fehlen an diesem Sonntagmorgen auf der Bundesliga-Seite die Trackingdaten von Hertha. Das sieht jetzt fast schon so aus, als wären die Daten zu peinlich, um sie zu veröffentlichen. Es gibt sicher einen ganz trivialen Grund dafür, aber das Bild ist doch bezeichnend: Mainz war präsent, von Hertha gibt es nur eine blanke Fläche. Jetzt wird es schon früh ein wenig dringend, sie zu füllen.


zurück zur Übersicht

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Bitte addieren Sie 3 und 4.