Unverständnis

"Jeder versteht Dinge so, wie er sie verstehen will." So lautet der jüngste Eintrag auf der Facebook-Seite von Änis Ben-Hatira, der am Donnerstag beim Remis im Testspiel zwischen Hertha und PSV Eindhoven nicht zum Einsatz kam. Es klingt ein wenig Trotz aus diesem Satz, der als Reaktion darauf zu verstehen ist, dass Ben-Hatira sich mit Äußerungen zum Konflikt im Nahen Osten eine kritische Stellungnahme von Hertha zugezogen hat: er wurde "darauf hingewiesen, dass seine Äußerungen in der Öffentlichkeit einer besonderen Wahrnehmung unterliegen". Er wurde auch "über mögliche Konsequenzen aufgeklärt".

De facto heißt das: Hertha wünscht nicht, dass die Profis sich zu solchen Dingen äußern. Und schon gar nicht in dem Sinn, in dem Ben-Hatira sich geäußert hat. Er hat sich zwar redlich bemüht, sich argumentativ abzusichern, aber die Angelegenheit ist einfach zu komplex, als dass am Ende nicht doch etwas Anstößiges herauskommen würde.

Die wesentliche Pointe von Ben-Hatiras Argument kommt eigentlich schon sehr früh, weil er mit Emphase von Palästina spricht: "Das größte Gefängnis der Welt heißt Palästina." Er weiß wohl, dass er damit einen zweideutigen Begriff verwendet, der sich sowohl auf das Projekt eines Staates Palästina wie auf die Region als solche bezieht, also auch auf das Territorium des Staates Israel (meine Illustration zeigt eine Karte aus 1895, damals war das alles noch Osmanisches Reich, kompliziert war es auch damals schon).

Bevor er zu seiner eigentlichen Stellungnahme kommt, kommt die Einschränkung: "Natürlich bin ich kein Antisemit. Ich habe nichts gegen die Juden und ihre Religion, jeder soll daran glauben, woran er will. Ich bin auch gegen jede Art von Gewalt." Hier ist nicht ganz klar, ob ihm bewusst ist, in welche Richtung er unterwegs ist. Denn das Judentum ist eben nicht nur Religion, sondern eben auch ein Volk, eine Gesellschaft, und seit 1948 ein Staat.

Ben-Hatiras Pointe bezieht sich auf diesen Staat. "Ich habe etwas gegen das Regime von Israel, das seit 66 Jahren ganz offen die Palästinenser unterdrückt, ermordet oder deren Land besetzt." Also seit 1948. Hier ist der Begriff Regime besonders anstößig, denn Israel ist ein demokratischer Staat. Die Siedler haben ebenso ihre Stimme und ihre Lobby wie die Linken, die Friedensaktivisten, die Orthodoxen. In der Sache könnte Ben-Hatira mit seiner Aussage sich sogar auf israelische Historiker wie Benny Morris berufen, denn inzwischen ist gründlich erforscht, dass die Landnahme (die für die Palästinenser eine Tragödie war: naqba) mit Vertreibungen und Tötungen einherging. Doch die Sache ist eben mehr als die Sache.

Ein Fußballprofi von Hertha hat mit seiner Stellungnahme fast ein Schulbeispiel für die gegenwärtigen Debatten geboten. Denn er versucht so gut wie möglich (um nicht zu sagen: so ausdrücklich, dass es schon wieder nach rhetorischer Konzession aussieht), zwischen Antisemitismus und "Regimekritik" einen Unterschied zu machen. Er übersieht dabei, dass er als Deutscher (auch als Deutscher, der für Tunesiens Nationalteam spielt) auch die besondere geschichtspolitische Verantwortung mittragen muss, die aus der Schoah kommt, und die Hertha von ihm nun einmahnt.

Es sind wie so oft die Kommentare, die es schließlich fast doch ratsam erscheinen lassen, dass ein Fußballprofi sich solcher Stellungnahmen enthält. Ich verstehe gut, dass Ben-Hatira die "besondere Wahrnehmung" nützen wollte, der er als Prominenter unterliegt. Doch kommt dann eben häufig doch so etwas heraus: "PRO BEN-HATIRA. Ich stehe zu 100 % zu deiner Meinung. Legalen Völlermord (sic!) stoppen - Israel ausrotten (zumindest des machtgeile Regime!!)."

Wenn er das liest, wird er es sich selbst noch einmal überlegen, wie die Dinge zu verstehen sind. Ich hätte es allerdings gut gefunden, wenn der Begriff der "Verwarnung" nicht ins Spiel gekommen wäre. Ben-Hatira muss von Hertha nicht verwarnt werden, es reicht, wenn der Club mit ihm spricht und ihm die "besondere Verantwortung" klar macht. So aber gibt es sogar hier noch ein kleines Motiv für das Ressentiment, mit dem viele junge Männer auch in Deutschland den Konflikt in Palästina interpretieren.

Und Änis Ben-Hatira, den ich gern zu einem tollen Spieler bei Hertha wachsen sehen würde, geht angezählt in eine Saison, in der er sportlich sowieso keine andere Chance hat, als über sich hinauszuwachsen. Ich wünsche ihm, dass es ihm gelingt.

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