Versuch über den geglückten Matchtag

Ich habe die Angewohnheit, Fußballspiele in meinem digitalen Kalender mit violetter Farbe einzutragen. In der momentanen Phase der Saison, in der es um sehr viel geht, sind diese Termine wichtiger denn je, ich freue mich auf manche Spiele tagelang, natürlich kribbelt es auch ein wenig. Wenn dann der Tag gekommen ist, an dem das Match angesetzt ist, am Nachmittag oder am Abend, dann wird auch bei bei mir, einem nachkonfessionellen, aber vermutlich immer noch latent religiösen Menschen, eine gewisse Metaphysik lebendig. Ich versuche, mich auf das Spiel einzustimmen, oder genauer: ich versuche, den Tag so gut wie möglich zu gestalten, um jede negative Energie zu vermeiden. Natürlich weiß ich, dass es wirklich nicht von mir abhängt, was sich später im Olympiastadion oder im Emirates im Norden von London zutragen wird, das sind die beiden Orte, an denen meine Clubs ihre Heimspiele abhalten. Andererseits halte ich ein bisschen an der Mythologie fest, dass bei einem Spiel, auf das viele Menschen aus aller Welt blicken (beim Arsenal FC mehr als bei Hertha BSC), eine Übertragung stattfindet, dass da also etwas kommuniziert, was über das bloße Daumendrücken hinausgeht.

Ich war jetzt schon lange nicht mehr im Stadion, nach Covid musste ich überhaupt erst wieder langsam Zugang finden zu meinem Leben mit Hertha, und Arsenal sehe ich nun einmal meistens im Fernsehen. Ich bin also Teil des globalen Publikums, und fasziniert von diesem weltweiten reach. Everything Everywhere All at Once. Im Idealfall setze ich mich dann also vor dem Spiel hin, bin mit mir so im Reinen, wie ich es mir von den Spielern auch erhoffe, und verbreite positive Energie.

Es kommt aber auch immer wieder vor, dass ich unterwegs bin, dass ich in einem Zug mit jämmerlichem WLAN notdürftige Bilder aus zusammenbrechenden Feeds hole, dazwischen den Online-Kicker aktualisierend, der sich im E-Netz auch zuverlässig aufhängt. Und dann fallen in diese Trennung (Verbannung) hinein zuverlässig Gegentore, blöde meistens, die ich nicht sehen kann, und die deswegen noch mehr weh tun. Ich habe nie eine Statistik geführt, ob meine Mannschaften besser abschneiden in Spielen, bei denen ich konzentriert zuschauen kann, aber ich bin mir quasi als Fan sicher, dass das so sein muss. Denn ohne mich, ohne uns, muss das, kann das alles doch nur schief gehen.

So führt uns der Spieltag immer wieder in die ganzen Paradoxien der Anhängerschaft, und mit dem Anpfiff explodieren sie, sind einzufangen nur durch einen Sieg. Denn die leise, manchmal aber durchaus nagende Melancholie nach Niederlagen lässt sich zwar in der Regel wegschlafen, oder mit anderen schönen Dingen besänftigen. Aber sie erinnert uns doch an die Zerbrechlichkeit des Glücks.

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Kommentare

Kommentar von Hermann |

Heute spielt die Hertha ja auswärts in Köln.

Aber es ist ein besonderer Tag im Leben von Marxelinho und vielleicht hat er sich gerade deswegen auch eine Auswärtsfahrt gegönnt. Ich wünsche ihm auf alle Fälle den souveränen Klassenerhalt auf allen Ebenen seines Daseins entgegen aller Zerbrechlichkeit des Glücks.

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