Vielgötterei

Das Gute an der großen Religion des Fußballs ist, dass sie nicht eifersüchtig ist. Das konnte man am Sonntagnachmittag wieder sehr schön sehen, als Hertha BSC den Kader für die neue Saison präsentierte. Als John Heitinga den Platz betrat, empfing ihn ein deutlich vernehmbares "Fußballgott", und als Änis Ben-Hatira kam, war der ehrfürchtige Ruf zwar weniger ausgeprägt, aber auch er bekam die höchsten Weihen.

Es ist die erste Spielzeit seit einer Weile, die wir Hertha-Fans nicht dem Gefühl beginnen, gerade erst ein Schleudertrauma überwunden zu haben. 2008-2010 gab es das letzte Mal zwei Erstligajahre en suite, das ist ganz schön lange her. Davor war Hertha fast ein Jahrzehnt eine gefühlte Spitzenmannschaft in einer Liga, die sich damals allerdings noch ganz anders anfühlte.

Ein unbescheidener Coach mit Verdauungsbeschwerden und ein unerfahrener Manager reichten damals, um alles aus dem Lot zu bringen. Inzwischen sind Lucien Favre und Michael Preetz rehabilitiert, und in Berlin können wir zumindest das gute Gefühl haben, dass Hertha den enorm gestiegenen Anforderungen der Liga nicht gänzlich naiv gegenüber steht.

Allerdings wurde der Kader insgesamt eher in die Breite verstärkt. Die Empfehlung von Michael Reschke, dem vielleicht wichtigsten Neuzugang des FC Bayern, wird hier nicht eingehalten: "Niemals mehr als 25 Leute." In Berlin gibt es allein schon vier Torleute, was an sich kein Problem wäre, zumal mit einem Abgang von Sascha Burchert noch gerechnet wird. Doch wird sich schon am Samstag zeigen, wohin die Reise geht: Wird Marius Gersbeck, ein Liebling der Fans und designierter Kevin Großkreutz von Berlin, schon offiziell zum Konkurrenten von Thomas Kraft ausgerufen? Oder muss er hinter Rune Jarstein ins dritte Glied?

Ähnliche Härten wird es in vielen Fällen geben, wenn der Trainingskader wöchentlich auf den Matchkader reduziert werden muss. Der Trainer, der sich im vergangenen Frühjahr gelegentlich mit seinen diplomatischen Rücksichten ein wenig vertat (Stichwort: Holland), hat da eine nicht geringe Moderationsaufgabe vor sich. Er wird sie auf verschiedene Schultern verteilen, der Manager muss da eben auch erklären - und vielleicht doch noch Käufer für den einen oder anderen finden, ohne den Eindruck einer Berliner Wühlkiste zu erwecken.

Bei Gersbeck spielt ein Faktor eine Rolle, der auch bei Brooks, Schulz und Mukhtar bedeutsam ist: Identität. Sie verdienen einen größeren Vertrauensvorschuss als andere, es wäre bedauerlich, wenn sie den Matchkader die ganze Zeit von außen sehen müssten. Hier sehen wir schon, wie schwierig die konkrete Entscheidung jeden Freitag sein wird. Im Moment bleibt uns nicht viel mehr übrig, als den Vertrauensvorschuss auch dem Coach zu gewähren. In Abwandlung einer berühmten Phrase aus Ost-London: Jos knows. Wenn er es wirklich weiß, dann kommen eines Tages doch wieder monotheistische Argumente ins Spiel. Denn die Fans singen auch: Theres only one Arsène Wenger.

Hier noch ein paar Impressionen vom Sonntag.









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