Vorspielkulturen

Beim zweiten CL-Halbfinale war ich dann doch ziemlich dabei. Das hatte eine Menge mit der Vorberichterstattung auf Sky und mit dem Spiel vom Dienstag zu tun. Da kam nämlich so viel Chauvinismus rüber, dass ich nun nicht so sehr gegen die Bayern bin (das bin ich immer), als gegen Sky. Kai ("Skai") Dittmann war sich nicht zu blöd, Atlético Madrid an einer Stelle seines Kommentars sogar einmal implizit die Fähigkeit zum Fußballspiel selbst abzusprechen. Die dahinterstehende Annahme: Eine Mannschaft, die nur verteidigen kann, kann eben das Spiel nicht. So viel Klischee wie am Dienstag war selten, wobei die beiden Teams dann noch eine Menge beisteuerten, weil sie auch Klischees bestätigten.

Das galt dann aber eher für den Zyniker Mourinho, der offensichtlich mit zunehmendem Alter, das man ihm auch ansieht, immer mehr zu dem Spielverderber Nummer eins im europäischen Fußball werden möchte. Aber natürlich ist auch das Fußball, was Chelsea gemacht hat. Es war nicht mehr und nicht weniger als die Eliminierung eines Spiels mit spielverderbenden Mitteln, zum Zwecke der Entscheidungsfindung in einem Rückspiel, von dem Mourinho sich mehr verspricht, weil es im eigenen Stadion stattfinden wird. Ich hoffe dringend, dass Atlético dann die nicht unwichtige Regel, dass eine Heimmannschaft per definitionem kein Auswärtstor schießen kann, zu seinen Gunsten geltend machen kann. Indem sie nämlich eines schießen. Ein entscheidendes Auswärtstor. Es wäre, auch wenn dann auf der Magnatenebene Aserbaidschan gegen Teleaudidas oder ein Emirat im Finale stünde, wenigstens eine gute Geschichte.

Dass uns der Milliardenclub Chelsea mit so einer Taktik quält, ist eine Sache. Richtig gestört hat mich aber eben ein durchgehend leicht herablassender Tonfall bei den deutschen Berichterstattern, schon in den Vorberichten, in denen Lothar Matthäus das Wort führte, auch er ein Vertreter der These, dass Atlético keinen vollständigen Fußball kann. Die Herablassung prägte dann ja noch das Erstaunen darüber, dass viele, wenn auch nicht entscheidend gelungene Offensivkombinationen zu sehen waren.

Am Mittwoch wiederholte sich die Blindheit auf einem Auge mit der vor dem Spiel monoton vorgetragenen Analyse, dass Real Madrid nicht verteidigen könne. Natürlich hängt jede weiter hinten ansetzende Taktik gegen die Bayern immer an einem seidenen Faden. Der reißt dann, wenn sich irgendwo doch noch ein Fizzelraum auftut, den ein Robben oder ein Müller meistens mindestens einmal pro Spiel findet, und den sie mit Lewandowski noch ein bisschen sicherer finden werden. Am Mittwoch hat Real es geschafft, dass der seidene Faden nicht gerissen ist. Das hatte mit einer starken Defensivleistung des ganzen Teams zu tun.

Hinterher war dann viel die Rede von Konterspiel, und wenigstens in Andeutungen von der Tatsache, dass Guardiola auch mit dem FCB vielleicht früher als vermutet (also früher als nach zehn Triples in Serie) auf sein eigenes Barca-Dilemma stoßen könnte, das er doch mit Sabbatjahr und Lederhose bannen wollte: Steriler Ballbesitz als Fluchtpunkt strategischer, offensiver Raumverengung. Man hat den Eindruck, dass der Fußball ganz oben derzeit auf die Frage hinausläuft, ob hohes Gegenpressing und Belagerungsspiel auf Dauer anstrengender und damit auch unproduktiver ist als tiefes Spielverderben mit rasenden Kontern (oder ohne, wie im Fall Chelsea).

Das sind doch interessante, auf das ganze Spiel abbildbare Konstellationen, in die wir alle unsere Lieblingsclubs eintragen können. Das heißt aber nicht, dass wir sie zu solchen Stereotypen verfestigen müssen, wie sie uns Sky immer wieder einreden will.

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