In dieser Woche hat der FC Bayern München die erste Niederlage der Saison hinnehmen müssen. Das Auswärtsspiele beim Arsenal FC war im Vorfeld vielfach als Duell um den Titel der besten Mannschaft Europas (im November) stiliisiert worden. Die deutsche Fußballexpertise hob im Vorfeld natürlich hervor, dass Arsenal viele Tore nach Standards erzielt. Und auch nach dem Spiel ging es wieder darum, denn das erste Tor zum 1:0 fiel tatsächlich nach einem Corner. Joshua Kimmich, der nach dem 1:3 seine Enttäuschung zu rationalisieren versuchte, sprach davon, dass der FCB gegen PSG "Fußball spielen" konnte, während es gegen Arsenal um etwas Anderes als Fußball gegangen wäre – zum Beispiel "Kampf".
Zwei Dinge zur Einordnung: Mikel Arteta und Arsenal befinden sich, wie alle großen europäischen Teams, in einem Langzeitversuch, ein perfektes Team zu schaffen. Mit den Verpflichtungen dieses Sommers wurde eine Grundlage geschaffen, ein Kader, mit dem Verletzungen (von denen es in dieser Saison schon wieder zahlreiche gibt) kompensiert werden können. Nach allem, was man mitbekommt, ist die Stimmung in der ganzen Gruppe sehr gut, und die Rotation funktioniert. Arsenal ist in der Wahl seiner Mittel keineswegs auf Standardsituationen reduziert. Gegen Sunderland lag man zur Pause 0:1 hinten, die zweite Halbzeit war dann ein Schulbeispiel für elegantes Aushebeln eines tiefen Blocks, ebenso lief es im Match gegen Tottenham.
Standardsituationen sind ein Faktor, allerdings würde ich den Akzent eher umgekehrt setzen: Man fragt sich, warum so viele Mannschaften sich bisher kaum um die Potentiale von Eckbällen und Freistößen (und auch Einwürfen) gekümmert haben? Arsenal ist selbst ein gutes Beispiel. Erst, seit Arteta Trainer ist, verstehen auch weitere Kreise der Fans, wie verschlampt das Spiel unter dem späteren Arsène Wenger war, der weiterhin als Legende gefeiert wird, der aber übrigens gerade gegen den FC Bayern jedes Mal peinlich vorgeführt wurde.
Arteta hat Arsenal in allen Belangen besser gemacht. Der Sieg am Mittwoch gegen den FC Bayern hatte aus meiner Sicht vor allem mit dem äußerst intensiven Pressing zu tun. Ich hatte mir am Vortag auch Bayer Leverkusen bei Manchester City angeschaut, und möchte die Leistung von Hjulmanders Elf nicht schmälern, aber City hatte eine lächerliche physische Präsenz, und Bayer konnte geradezu gelassen von hinten herausspielen und im Mittelfeld spannende Pässe (Quansah auf Tillman vor dem ersten Tor) spielen.
Das erste Tor in dem schließlichen 3:1 von Arsenal gegen Bayern aber fiel wie gesagt nach einem Eckball von Saka, den Kopfball setzte Jurrien Timber. Es war ein schulmäßiger Arsenal-Corner, und man kann daraus auch ersehen, dass es so viele Geheimnisse dabei gar nicht gibt. Declan Rice gab nach dem Spiel in einem Interview sogar das Stichwort: "robotic". Die Hereingabe, auf Englisch: "the delivery", ist das Um und Auf. Arsenal hat für beide Ecken festgelegte Spieler, Saka mit links, Rice mit rechts, beide im Grunde immer mit Bällen, deren Kurve in Richtung Tor in ein bestimmtes Feld im Fünfmeterraum geht. Dieser Raum, in dem der Tormann besonders geschützt ist, wird mit Spielern befüllt, die alle parallel zur Torlinie laufen. Saliba hat in der Regel die Aufgabe, den Keeper zu blocken. Gabriel ist zur Zeit verletzt, er ist oft der Freigeist, der aus dem Elferraum einläuft. Im Detaildetail gibt es Varianten, aber vom Prinzip her ist die Sache klar: Bei der gewählten Methode entsteht im Raum unmittelbar vor der Torlinie eine Linie von Köpfen, die selbst bei konsequentester Manndeckung, die im Gewühl nicht möglich ist, auf ein Fiftyfifty hinaus läuft. Arsenal-Kopf, Bayern-Kopf, Arsenal-Kopf, Bayern-Kopf. Wo der Ball landet, lässt sich nicht programmieren, aber das Prinzip ist klar: Corner werden auf diese Weise zu einer 50prozentigen Chance. Und wenn man pro Spiel sechs oder acht hat, werden Tore dabei sein.
Nicolas Jover hat natürlich noch ein paar weitere Dinge auf Lager, aber im Grunde hat er nur eine Standardsituation des Spiels, die es immer schon gab, prozedural optimiert. Wenn man sieht, wieviele Eckbälle in so vielen Spielen immer noch irgendwo ankommen, wieviele nie über den ersten Gegner hinwegkommen, wieviele zu niedrig hereinkommen, dann kann man nur den Begriff verwenden, der bei Elfmetern geläufig ist: sie werden vergeben.
Ein bisschen ein Rätsel bleibt dabei der kurze Eckball. Manche Teams spielen ihn gern, manchmal ergibt sich daraus sogar etwas. Ich bin mir aber relativ sicher, dass statistisch die Werte ungleich geringer sind.
Die Hereingabe lässt sich leicht trainieren, es ist eben ein "robotischer" Vorgang, den vor allem Declan Rice inzwischen im Schlaf beherrscht. Im Strafraum gibt es kein Abseits, während es bei Freistößen reicht, wenn die Defensivlinie cool bleibt. Arsenal hatte gegen den FC Bayern schon sehr früh einen Freistoß, den Rice von rechts hereinbrachte – fünf Arsenal-Spieler waren offside, weil die Bayern-Linie einfach stehen blieb.
Bei Hertha BSC gibt es die Geheimwaffe der Einwürfe von Fabian Reese, der dafür, wenn einer ansteht, sogar quer über das ganze Feld läuft, um diese Gelegenheit nicht zu verpassen. Aber die Eckbälle sind insgesamt noch zu wechselhaft, man sieht, dass der Spieler sich oft nicht ausreichend konzentriert. In der Vergangenheit hatte das Thema offensichtlich kaum Beachtung.
Durch Arsenal ist es in aller Munde, und schon wird aus einem professionellen Detail ein Mythos.


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