Georg Niedermeier hat dem VfB Stuttgart am Freitagabend gegen Hertha einen Punkt gerettet. Der Innenverteidiger der tief in der Abstiegszone stehenden Heimmannschaft versetzte Thomas Kraft bei günstiger Gelegenheit einen Kinnhaken, der sich sehr allmählich in das neuronale Innere des Berliner Keepers fortpflanzte. Kraft stellte Gentner recht heftig zur Rede, und bekam dafür eine gelbe Karte. Gentner aber hatte mit der Sache gar nichts zu tun gehabt. Niedermeier war längst weg, er hatte gute Gründe, sich zu verdünnisieren.
Das Spiel ging dann noch eine Weile weiter, und das Spielfeld wurde dabei "immer größer". Das war Pál Dárdais Formulierung dafür, das sich zum Ende hin zusätzliche Räume boten. Er wollte, so ließ er jedenfalls hinterher verlauten, "das Spiel gewinnen". Dafür wollte er Haraguchi bringen, einen schnellen Mann. Zu diesem Zeitpunkt, mit gut zwanzig Minuten Verzögerung, war allerdings der Kinnhaken von Niedermeier so weit im Gehirn von Thomas Kraft angekommen, dass dieser vom Feld geführt werden musste.
Eine seltsame Szene, weil eben zu erkennen war, dass Kraft nicht ganz genau wusste, was vor sich ging. Dass er "von Sinnen" gewesen wäre, wie der rhetorisch nicht gerade trittsichere Fritz von Thurn und Taxis es formulierte, ist aber Blödsinn. Es musste also jemand von den Mitspielern eingreifen. Hätte Dardai den geplanten Wechsel vollzogen, und wäre Kraft dann ausgefallen, hätten wir wohl für eine Viertelstunde Lustenberger im Tor gesehen, und Niedermeier hätte seinem Team vielleicht sogar einen Dreier gerettet. Alles mit einer fiesen Bewegung der Schulter, die man auch als Tätlichkeit werten hätte können.
Dass Hertha zum Ende hin auf Sieg spielen würde, war schon durch eine Auswechslung zur Pause erkennbar geworden. Dárdai brachte für die allzu konservativ und gemächlich agierenden zentralen Mittelfeldmänner Hegeler und Heitinga zwei agile Kräfte: Schulz und Cigerci. Der Niederländer hatte zum ersten Mal seit langer Zeit wieder begonnen, im defensiven Mittelfeld, er führte sich mit einem Ellbogeneinsatz und einer gelben Karte in der ersten Minute ein, spielte später noch einen haarsträubenden Rückpass, und wirkte insgesamt nicht auf der Höhe. An Hegeler muss ich nicht groß herumnörgeln, die Mannschaft muss ihn selbst überwinden.
Bei Cigerci war jedenfalls von der ersten Minute auf dem Platz an zu erkennen, wieviel intelligenter seine Laufarbeit ist. In einzelnen Szenen, vor allem bei einem Foul, das ihm eine gelbe Karte eintrug, konnte man allerdings erkennen, dass seine Bewegungsabläufe noch nicht ganz auf der Höhe sind. Das nennt man dann wohl fehlende Matchpraxis. Nico Schulz spielte in Halbzeit zwei meistens auf rechts, die beste Gelegenheit des Spiels nach einem sehr schönen Konter und einer Vorlage von Kalou hatte er jedoch über halblinks. Für den Abschluss wählte er auch seinen bevorzugten linken Fuß, die technisch anspruchsvollere Variante mit dem rechten hätte wohl den Erfolg gebracht.
Kalou ließ jederzeit erkennen, dass ihn das Spiel interessierte. Das zeigen auch die Zahlen. 11,28km gelaufen, das Team insgesamt bemerkenswerte 125, das sind Werte, an denen sich zeigt, dass Dárdai tatsächlich schon etwas bewirkt hat. Das soll allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die spielerische Armut schon groß ist. Heitinga hat sich vermutlich mit diesem Spiel erledigt. Auffällig ist aber auch, wie sehr Fabian Lustenberger, immerhin Kapitän und Führungsspieler, in den Diskretionszonen der Spiele verschwindet. Kaum einmal gelingt ihm ein interessanter Pass, zweifellos leistet er aber viel Kleinarbeit.
Langkamp und Brooks wachsen allmählich wieder zu dem unerschütterlichen Duo ganz hinten zusammen, das eigentlich mehr als nur spielerische Qualität hat. Die beiden unterschiedlichen Definitionen von Cool, die die beiden ausstrahlen, verlangen eigentlich nach einer Buddy-Komödie.
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Oder doch eher so:
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Insgesamt bedeutet das, dass bei Hertha in einer wichtigen Phase der Saison die Kräfte allmählich wieder gebündelter wirken. Eine der vielen schwer nachvollziehbaren Entscheidungen von Dr. Felix Brych bringt es zwar mit sich, dass Nico Schulz nach einer gelb-roten Karte fehlen wird. Dafür kann dann aber vielleicht Genki Haraguchi gegen Schalke die Größe des Spielfelds im Olympiastadion auskosten. Oder aber Änis Ben-Hatira kann sich zum Spielmacher aufschwingen.
Die Perspektiven sind nicht rosig, aber es ist immerhin wieder eine Mannschaft da, der man gern bei der Selbstfindung zusieht. Dass sie tatsächlich Trippelschritte in Richtung beständigerer Erstligareife macht, ist unübersehbar. Und es wird dadurch nur noch deutlicher, wie schlimm die Zustände unter Jos Luhukay schon gewesen sein müssen. War zwar deutlich zu erkennen, aber man will es ja doch immer nicht so richtig glauben. Nun ist Zeit für das nächste Etappenziel. Wie wäre es mit vier Punkten aus zwei Begegnungen?
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