Zerrüttungsprobe

Aus gegebenem Anlass habe ich gerade nachgeschaut, wieviele Übersetzungen es für das englische Wort "disruption" gibt: es sind ein paar, ich muss nicht alle aufzählen, aber Störung, Spaltung, Bruch, Riss, Zerreißung, Zersetzung, Zerrüttung geben ja schon einmal ein recht deutliches Bild. In gewissen Kreisen hat die Idee einer Entwicklung durch Brüche schon seit einiger Zeit eine gewisse Prominenz, vor allem deswegen, weil man damit sagenhafte Kursentwicklungen von börsennotierten Unternehmen in Bereichen verbindet, von denen die Welt vor kurzer Zeit noch gar nichts wusste.

Heute hat Jürgen Klinsmann aus heiterem Himmel seine eigene Disruption bei Hertha BSC zerrüttet. Oder er hat seine Störung kurzgeschlossen. Oder er hat seinen Riss in einen Abgrund verwandelt. Er kam vor wenigen Wochen mit großem Stab, dichtete für eine Weile die Defensive der Mannschaft ab, bis sie gegen Mainz am Wochenende wieder löchrig wurde. und nun hat er seinen Rücktritt als Cheftrainer erklärt. Er zieht sich auf die Position als Aufsichtsrat zurück, aus der er künftig die "handelnden Personen" wieder beaufsichtigen wird.

Mit einem Wort: Das Team 50,1 (Preetz und sein Godfather Gegenbauer) hat sich gegen das Team 49,9 durchgesetzt. Dass es einen Machtkampf gab, musste man immer voraussetzen, ein Weilchen haben sich die Fraktionen notdürftig arrangiert, nun hat wohl allem Anschein nach Klinsmann zum falschen Zeitpunkt die Machtfrage gestellt.

Ich unterstelle einmal, dass schon die Transferentscheidungen des Winters ein Ausdruck des Machtkampfs waren. Bei Piatek gibt es gute Argumente, dass diese Verpflichtung sinnvoll war, man konnte das auch schon erkennen. Bei Ascacibar ist die Sache angesichts der sieben Millionen für Löwen im Sommer und angesichts von Arne Maier (den ich tendenziell eher als Sechser sehe) schon weniger klar (billig war er zudem auch nicht, aber wir haben es ja). Bei Tousart muss man ingesamt den Eindruck einer widersprüchlichen Angelegenheit haben, nicht nur wegen Grujic, den man damit ja praktisch jetzt schon zu den Akten gelegt hat.

Hertha hat im Winter nicht wenig Geld ein bisschen rasch hinausgeschossen. Geld, das man im Sommer mit mehr Überblick über die Lage (viele sind mit der Gesamtsituation unzufrieden) viel besser hätte einsetzen können. Jedenfalls angesichts einer Saison, von der tatsächlich über den Klassenerhalt hinaus allenfalls noch das Ziel ausgegeben werden kann, den Kader besser zu strukturieren, indem man um ein Gerüst bereits vorhandener Spieler einen Mannschaftskern entwickelt. Aber das wäre eine Strategie, die dem evolutionären Prinzip entspricht, und nicht dem disruptiven, das Investoren gern vertreten, weil sie mit ihren Investitionen am liebsten disruptiven Erfolg hätten.

Dazu ist Fußball nicht das richtige Metier. Ich bin sicher, Team 50,1 hat das geduldig auseinandergesetzt, auf die Jacht vor Florida (ein Disruptionssymbol in jeder Hinsicht) sind sie trotzdem gegangen. Wenn Michael Preetz das 0,1 Prozent, an dem derzeit seine berufliche Existenz hängt, retten will, muss er jetzt eine Trainerentscheidung treffen, die den Pyrrhussieg von heute so lange sicherstellt und in sportlichen Erfolg verwandelt, dass im Sommer zu den Bedingungen von Hertha BSC weitergearbeitet werden kann. Torkelt der Verein weiter so durch die Saison, gibt es im Sommer vielleicht kein Team 50,1 mehr, sondern nur noch Tennor BSC.

PS Es versteht sich für meine Begriffe von selbst, dass am Samstag in Paderborn kein Vertreter des Teams 49,9 auf der Bank sitzen darf.

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