Zwei Siege in den erste beiden Spielen, und schon haben die Berliner Medien in dieser Woche einen Vorgeschmack darauf gegeben, wie sich das alles entwickeln könnte: "Hertha kann Platz 1", habe ich irgendwo gelesen. Natürlich war das ironisch gemeint, aber es ist von jener Ironie, die durchklingen lässt, dass sie nichts lieber täte, als sich sehr ernst zu nehmen. Tatsächlich reicht im Freitagsheimspiel gegen Bremen ja schon ein Remis, und Hertha steht für ein paar Stunden ganz oben.
Den Auswärtssieg in Augsburg haben auch manche seriöse Medien, zum Beispiel die SZ, deutlich positiver gesehen, als ich ihn vor dem Fernseher erlebt habe. Es ist doch erstaunlich, wie weit die Interpretationen eines solchen Spiels auseinander liegen können. Wie auch immer, heute folgt das zweite Spiel, und es wird sicher einige weitere Klärungen bringen. Der Abgang von Nico Schulz ist hiermit offiziell, er schmerzt, denn er zeigt, dass Hertha noch lange Schwierigkeiten haben wird, einen Identitätskern für die Mannschaft zu entwickeln, wenn es nicht gelingt, den Talenten bessere Perspektiven zu vermitteln.
John Brooks wird heute vermutlich wieder auf der Bank sitzen, danach wird Pal Dardai sich aber bald entscheiden müssen, was er mit ihm vorhat. Denn als Edelreservist ist er verschwendet, und den Vertragsverhandlungen mit Brooks ist sicher auch nicht zuträglich, wenn er nicht spielt. Daraus folgt: Der Kapitän wird eine Reihe nach vorne rücken müssen, wo er ohnehin eine starke Rückrunde 2015 gespielt hat. Daraus resultieren weitere Fragen: Wo ist eigentlich die ideale Position von Darida, von dem ich bisher allenfalls Ansätze, aber auch viele Fehler gesehen habe? Hat Cigerci, der diese Woche in türkischen Gerüchteküchen auftauchte, überhaupt noch eine Perspektive bei Hertha? Ist Skjelbred tatsächlich unbedingt gesetzt?
Der Trainer hat in einem Interview eine Formulierung gebraucht, die diplomatischere Kollegen vermieden hätten: Zur Not geht es auch mit diesem Kader, aber es wäre doch gut, wenn noch Schnelligkeit gekauft würde. Hertha hat zuletzt lange gerade einmal so "zur Not" funktioniert, auch jetzt könnte man schon wieder den Eindruck bekommen, dass ein typischer "Zur Not"-Spieler wie Hegeler mehr Bedeutung erlangt, als ihm zusteht - weil er eben zur Not passt. Immerhin steht Alexander Baumjohann zum ersten Mal seit langer Zeit wieder im Kader.
Worauf werde ich heute Abend , das schöne, große Feld im Oly live vor mir, besonders achten? Valentin Stocker interessiert mich, er spielt jetzt auf seiner angestammten Position, macht aber bisher einen etwas verhaltenen Eindruck. Auf Darida bin ich natürlich auch gespannt. Bisher überzeugt er durch gute Grundtugenden, seine Fehler hat er in den entscheidenden Momenten gemacht, in denen etwas mit dem Spiel hätte passieren können (ein Konter, eine interessante Situation im Zentrum). Hertha braucht Spieler, die einen Sinn für solche Momente haben. Bei Stocker haben wir das im Frühjahr in Ansätzen gesehen.
Hertha gegen Bremen, das waren einmal große Duelle, ich erinnere mich an ein bitteres Gegentor durch Tim Borowski, und an meine einzige Auswärtsfahrt nach Bremen, an einem saukalten Tag, an dem es ein 1:5 gab, mit Christopher Gäng im Tor, der heute bei SG Sonnenhof Groß-Aspach spielt. Damals auch in der Mannschaft, neben Gojko Kacar: Pal Dardai. Das war durchaus schmerzhaft damals, aber man hatte niemals den Eindruck, dass Hertha nur "zur Not" Bundesliga spielte. Saisonziel sollte deswegen auch sein, diesen Beigeschmack abzustreifen: mit einem plausiblen Kader, mit überzeugenden Aufstellungen, mit konkurrenzfähigen Leistungen - von der Not zur Tugend.
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